Das ausdrucksstarke Tanztheaterstück „May B. nach Texten von Samuel Beckett hat nichts von seiner Faszination verloren © Hervé Deroo
„‚May B‘, ein Meilenstein des zeitgenössischen Tanzes in Frankreich, ist heute noch genauso eine Offenbarung, wie es das Stück 1981 gewesen sein muss, als es neue Perspektiven für den Tanz
eröffnete.“ So preist The Financial Times jenes Tanztheaterstück, das damals den internationalen Durchbruch der französischen Choreografin Maguy Marin begründete. Saarländer, die es 1982 beim damals noch jungen deutsch-französischen Theaterfestival Perspectives in Saarbrücken sahen, schwärmen noch heute von diesem Erlebnis. Jetzt ist das Stück im städtischen Théâtre von Thionville zu Gast.
„May B.“ basiert auf den Schriften von Samuel Beckett, dessen Texte stets für existenzialistische Verlorenheit stehen. Wie verlorene Bettler streifen bei Marin die Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne, ein archaischer Chor aus lehmigen Gestalten, die grunzend und tragikomisch herumstolpern. Peu à peu entdecken sie sich und ihre Umwelt, ihre triebhafte Lust ebenso wie subtile Gefühle, begleitet von der Musik Franz Schuberts und Gavin Bryars’ sowie einer einzigen Zeile aus Becketts „Endspiel“: „Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende.“ Maguy Marin, die Grande Dame des französischen Tanzes, die 2016 mit dem Goldenen Löwen der Tanzbiennale von Venedig ausgezeichnet wurde, schuf über 50 Choreografien. Dass gerade „May B.“ aus ihren frühen Jahren über vier Jahrzehnte hinweg nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat, muss an der Zeitlosigkeit der existenziellen Fragen liegen, die es in eindringlicher Form auf die Bühne bringt.
Silvia Buss im OPUS Kulturmagazin Nr. 90 (März / April 2022)
18.3., 20 Uhr
theatre.thionville.fr